Ist der Schweizer Konsument wirklich geduldiger? Und ist den deutschen Kunden die Atmosphäre tatsächlich egal?
Welchen Einfluss hat die Kultur auf das Einkaufsverhalten? Wir haben dazu den typischen Schweizer und den deutschen Lebensmitteleinkauf betrachtet und verglichen: Was begehrt und honoriert der Kunde tatsächlich und was ist relevant bzw. nicht relevant für das Einkaufserlebnis? In welche Elemente der Leistungserstellung ist es sinnvoll zu investieren? Was wollen Kunden in der stationären Filiale? Was zählt hier und was da?
Mit Blick auf die Customer Journey nehmen wir erst einmal viele Ähnlichkeiten zwischen den Ländern wahr: Die Störfaktoren im Lebensmitteleinzelhandel häufen sich zu Beginn (u.a. Anfahrt, Menschengedränge) und nehmen am Ende der Customer Journey nochmals zu (u.a. Warteschlangen). Angenehmer wird es also erst dann, wenn die ersten Hürden überwunden sind – eine Tatsache, die dem Online-Handel in die Karten spielen dürfte.
In beiden Ländern stellt das Highlight des stationären Besuches das „Anfassen und Ansehen“ dar – also das sensorische Erleben u.a. der frischen Früchte und der duftenden Brote. Sowohl in Deutschland als auch in der Schweiz wählen Kunden ihre Produkte lieber noch selbst aus und beurteilen den Reifegrad z.B. der Banane oder der Avocado lieber vor Ort. Dieser Mehrwert macht den zentralen Unterschied zum Online-Handel aus. Angesichts dieser Bedeutung ist ein schlummerndes Potenzial in der Darreichung der Produkte zu vermuten – das über ein profanes Aufschichten oder Verköstigen der Produkte hinausgeht.
Worin unterscheiden sich die Kunden aus den jeweiligen Ländern?
- Der Kassenbereich: Am deutlichsten spürt man den Unterschied zwischen den Schweizer und deutschen Kunden an ihrem Verhalten im Kassenbereich. Während die deutschen Kunden schnell ungeduldig werden und schon nach 3 Sekunden mit den Füßen scharren, blicken die meisten Schweizerinnen und Schweizer noch nicht einmal nach 5 Minuten auf die Uhr. Insgesamt macht die Wartezeit in Deutschland 26% der genannten Störfaktoren aus, während es in der Schweiz gerade mal 14% sind. Abhilfe können dabei das kontaktlose Bezahlen und/oder die Self-Scanning-Option bringen. Beide Verfahren besitzen in der Schweiz eine deutlich höhere Verbreitung. Es verwundert daher nicht, dass die Self-Scanning-Aktivitäten in Deutschland an Bedeutung gewinnen – auch in Form von kassenlosen Formaten (vgl. tegut… teo).
- Die Orientierung: Ein Sortiment erzielt erst dann die volle Entfaltungskraft, wenn es gelesen werden kann. Eine kundenzentrierte Weltenbildung, eine attraktive Dramaturgie durch den Laden und eine logische Lesbarkeit der Regallayouts gehören deshalb zu den Basisaufgaben eines stationären Händlers. Die Schweizer erweisen sich hierbei als deutlich orientierungsloser. 15% der genannten Störfaktoren in der Schweiz beziehen sich auf das Überangebot und die schlechte Orientierung. Im Vergleich dazu macht die Unübersichtlichkeit in Deutschland nur 5% der Störfaktoren aus. Erstaunlich, wenn man in Betracht zieht, dass die Sortimentsvielfalt in Deutschland – zumindest in den Supermärkten – deutlich höher ausfällt. Das lässt vermuten, dass die logische Strukturierung der Sortimente in Deutschland besser gelungen ist. Wieso ist dies nicht zu unterschätzen? Eine unübersichtliche Vielfalt überfordert den Menschen und lässt den Einkauf allmählich zur Pflicht werden. Gerade im Lebensmittelbereich eine Patt-Situation für beide Seiten.
Wo sind Parallelen zwischen der Schweiz und Deutschland zu erkennen, obwohl man dies anders erwarten könnte?
- Das Preisempfinden: Die relative Preiswahrnehmung von Deutschen und Schweizern unterscheidet sich kaum. In beiden Ländern trägt der Preis kaum zu Missstimmung bei. Deshalb darf man sich fragen, weshalb das Preisinstrument so einen starken Stellenwert einnimmt. Betrachtet man die Pain Points entlang der Customer Journey, gäbe es genügend andere Störfaktoren, die die Customer Experience positiv beeinflussen könnten.
- Das Onlineangebot im LEH: Sowohl in Deutschland als auch in der Schweiz haben viele Kundinnen und Kunden in diesem Jahr schon einmal Lebensmittel und/oder andere Dinge des täglichen Bedarfs online gekauft. Bei den Deutschen waren es 61% und bei den Schweizern 66%. Etwa ein Viertel gibt gar an, regelmäßig online Lebensmittel und/oder andere Dinge des täglichen Bedarfs einzukaufen. Insbesondere für Deutschland ein beachtlicher Anteil, wenn man die Filialdichte betrachtet.
- Die Atmosphäre: Was kümmert die Deutschen die Atmosphäre? Hauptsache der Preis stimmt. Keineswegs. Für 10% der Befragten ist die Atmosphäre ein wichtiger Beweggrund, den stationären Handel aufzusuchen. Unwesentlich geringer als in der Schweiz (11%). Die Customer Experience dürfte in Zukunft einen deutlich stärkeren Magnetpunkt für den stationären Handel darstellen.
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